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Die Schuddgogerer
Philosophieren mit "kalde Fieß"
Umjubelte Uraufführung: Helmut Haberkamms "Die Schuddgogerer"
in Erlangen
Am Anfang steht das "Allmächd". Ein Ausruf, mit dem sämtliche
"p's" und "t's" ihre Wirkung verlieren. Manchmal bleibt
sogar nur ein Sprach-Singsang übrig, wenn die beiden "Schuddridder
in Harnisch und Keddnhemmerd / Mid Boddschamberhelm und harda Bandaaschn!"
auf ihrem Schrottplatz eine in Trümmern liegende Welt neu zusammensetzen.
"Die Schuddgogerer" heißt das neue Dialektstück des
Spardorfer Autors Helmut Haberkamm, das in einer Koproduktion des Theaters
Erlangen und dem Heppstädter Theater Kuckucksheim von Winni Wittkopp
und Stefan Kügel im Erlanger Theater in der Garage weniger als Theater-Abend,
denn als fulminante Zwei-Mann-Show zu sehen ist.
(...) Das ungleiche Duo wartet - nein, nicht auf Godot, sondern auf einen
"Siffon", der niemals kommen wird. Es folgen Dialoge, die allen
Nichtfranken das Äußerste abverlangen, liebenswerte Sticheleien,
lokalpatriotische Seitenhiebe und akrobatische Einlagen auf Barhockern.
Franken, wie es krankt, zankt und lacht! Gefahr ist nur dann im Verzug,
wenn in regelmäßigen Abständen zu unvermittelt schwermütige
Momente hereinbrechen.
Absolute Höhepunkte sind die musikalischen Einlagen. Winni Wittkopp
hat für seinen Rußer jede Menge schräge Musikinstrumente
gebastelt. Der Erfolg von "No Woman, No Cry - Ka Weiber, Ka Gschrei"
verpflichtet, und so singen Wittkopp und Kügel hingebungsvoll über
"Kalde Fieß", "Bohnakern und Baggers" und "Middwochskinda".
Dabei schrammt das Duo zwar haarscharf an der Nummernrevue vorbei. Doch
was soll's: Man freut sich über die Hochleistungs-Schauspieler, das
Gefühl Haberkamms für den Klang des Fränkischen und über
all die originellen Ideen, die in gut eineinhalb Stunden präsentiert
werden. Jubel bei der Uraufführung. Wenn das nicht wieder ein Publikumsrenner
wird!
Nürnberger Nachrichten, 22. Oktober 2005
Hommage ans Fränkische
"Wechgschmast wird nix, braang dun ma alles", das ist bei Helmut
Haberkamms "Schuddgogerern" Motto, Lebenseinstellung und Profession
zugleich. Der Rußer und der Boggatsch leben vom Gesellschaftsmüll,
sie veredeln den Schrott und verkaufen ihn. Und sie lieben ihn: "Denn
im Krusch steckt die ganze Seele". Eigentlich warten die beiden bei
der Uraufführung in der Erlanger Garage auf ihren Kumpel Siphon,
der ihnen einigen Krempel abkaufen will. Doch der kommt und kommt nicht.
Und so stehen sie da, die zwei Lebenskünstler und Vorzeigefranken
und erzählen von ihren traurig-komischen Leben.
Haberkamm hat seine Figuren den Darstellern Winni Wittkopp und Stefan
Kügel, den bewährten Helden aus "Ka Weiber, Ka Gschrei",
auf den Leib geschrieben. Doch die beiden sind auf der Bühne eben
nicht allein Boggatsch und Rußer. Im Zusammenspiel sind sie die
Inkarnation der fränkischen Seele. Zum einen natürlich wegen
der Sprache, die mit ihrer reichen Wortfülle fasziniert. Zum andern
und vor allem sind es Charaktere, die beide Seiten fränkischer Eigenart
vor Augen führen.
Wittkopp ist Rußer, er spielt es nicht nur: der Nörgler, der
kränklich-verkniffene Jammer-Franke, der im realen Leben höchstens
ein "bassd scho" über die Lippen bringt. Und Kügels
Boggatsch läuft nach der leidlich gelungenen Einstiegsszene zum gleichwertigen
Gegenpol im "Mutterseelen-Miteinander" auf. Er gibt den Speisenverehrer,
den Bauchtyp, der Frankens Speisekarten rauf- und runtersingt. Beide glänzen,
weil sie auch dann überzeugen, wenn ihre Rollen von der ursprünglichen
Typisierung abweichen. Wenn der Rußer eben nicht nur klagt und von
"seine Maleer" erzählt, sondern sich an der Glaubersalz-Percussion
ergötzt; wenn er daran Gefallen findet und kindliche Freude, seine
geadelten Sperrmüll-Schätze zu zeigen und mit dem Tabakspfeifen-Saxophon
aufzuspielen. Wenn der Boggatsch, der Müll-Prolet, nicht nur Altes
ausschlachten, reparieren und schnell sein Geld machen will, sondern tiefsinnig
über die verpfuschte Kindheit sinniert. Da stimmt's einfach, die
zwei Schauspieler sind klasse - oder eben "Brofi statt Dofi".
Aber auch die seichtere Schiene des Stücks müssen sie bedienen.
Deshalb wechseln sie unter der Regie von Jürg Schlachter hin und
her zwischen Mediziner-Nonsens und Hochgeistigem, zwischen Urlaub auf
den "akribischen Inseln" und beklemmender Vergangenheitsbewältigung.
Und sie tun das mit Bravour. Das Stück berücksichtigt beides,
wenn auch teils zu ausführlich. Doch Haberkamms Eingangswarnung "man
kann's gar net so dumm denken, wie's kommt", erfüllt sich zum
Glück kaum. Wir stimmen mit den Krempel-Philosophen ein: "Eine
feste Burg ist unser Schrott."
Nach netten 80 Minuten erntet Haberkamms "Bubenstück" reichen
Applaus. Neben den Schauspielern gibt es vor allem einen Gewinner des
Abends: das Fränkische.
Nürnberger Zeitung, 22. Oktober 2005
Freie Radikale in Franken
(...) Hier geht es jetzt aber nicht ums Gogern als geistige Lebensform.
Sondern um "Die Schuddgogerer", ein fränkisches Bubenstück
des Mundartmeisters Helmut Haberkamm, das soeben am Theater Erlangen uraufgeführt
wurde. (...) Es gibt zwei Schuddgogerer in Haberkamms kleiner Erlanger
Welt. Sie nennen sich "freie Radikale, ungebunden und ungesättigt"
und erinnern merkwürdig an andere Antagonisten im Bayern dieser Tage.
Der eine gogert sich schlank und rank, ist nicht zu bändigen, aber
bislang oft am falschen Platz: "Graue wolgn am himml / obber reenga
dudds bloß auf miech / Menschenskinner, wer kammer denn soong /
Worum immer ich die Scheiße abgriech". Der andere ist mehr
der väterliche Typ, rund gebaut, ein Gemütsmensch, aber sensibel:
"Ich bin a Speisenverehrer, a Moongmensch, a erdicher Bauchtyp".
Die beiden treffen sich jeden Tag im Schutt und gogern um die Wette. Der
Schlanke hält den Runden unterdessen für "Schöbfungsschrodd",
der Runde den Schlanken für eine "Evolutionsbremse". Gemeinsam
warten sie, wie bei Beckett. Nicht aber auf Godot und übrigens auch
nicht auf Stoiber - diese Analogie gab es noch gar nicht, als Haberkamm
den Text schrieb. Aber wie das eben ist, beim guten Frankendichter: "Alles
is hald immer a Gleichnis".
Für das Bubenstück, mit dem wunderbaren Winni Wittkopp (dünn
& drahtig) und dem nicht viel schlechteren Stefan Kügel (rund
& gemütvoll), wurden vorab bereits Zusatzvorstellungen am Erlanger
Theater angekündigt. Die nächsten Aufführungen sind schon
ausverkauft. (...)
Süddeutsche Zeitung, 24. Oktober 2005
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