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Die g'schenkte Stund
Der Puppen- und Schauspieler Stefan Kügel vollbringt in der Rolle
des Galsterers sowie sämtlicher Verblichener (dargestellt durch handbewegte
Masken) einen brillanten Kraftakt. Allein die Beschreibung der fränkischen
Herbstnacht lässt einen im lauen Frühling die Schultern hochziehen,
so präsent wird der nasskalte Zauber in seinen geraunzten Worten.
Blitzschnell wechselt er die Rollen und lässt mit feinen Sprachnuancen
und wirkungsvoller Motorik fränkische Urtypen auferstehen: Auch im
Tode noch bos- und schwatzhaft, alles andere als integer, aber auch verletzlich,
zärtlich und ziemlich komisch. Ein schlichtes Bettlaken wird durch
Kügels geschickte Handhabe zum wabernden Herbstnebel, zum Gespensterkörper
und zum Jenseits, gleichzeitig singt er zu schaurig-schöner Hintergrundmusik
wie der fränkische Vetter von Tom Waits.
Autor Helmut Haberkamm ("Ka Weiber - ka Gschrei") huldigt mit
diesem skurrilen Totentanz einer fränkischen Mythologie, der selbst
industrielle Landwirtschaft und Kabelfernsehen nicht den Garaus machen
konnten. All die Geschichten von gehörnten Landpatriarchen, Führer-geilen
Nazibräuten und gemeuchelten Bauern-Revoluzzern hat er sich von alten
Menschen erzählen lassen. Somit ist Die g'schenkte Stund ein
authentisches Stück fränkischer Poesie: Bezaubernd und auf bissige
Weise wirklichkeitsnah.
Nürnberger Nachrichten, 7.5.2003
Helmut Haberkamm hat Figuren mit Wiedererkennungseffekt kreiert, denn
alle zur Sprache kommenden Geschichten, Episoden und Schicksale sind recherchiert
und authentisch. Dazu kommen die "wunderschönen Dialoge im Dialekt,
die den Leuten vom Maul abgeschaut sind", sagt Regisseur Jürg
Schlachter. (...) Was ursprünglich von Helmut Haberkamm als Hörspiel
geplant war, ist jetzt nach Jürg Schlachters Überzeugung ein
"gutes Volkstheaterstück mit schönster fränkischer
Poesie" geworden, das "streckenweise auch witzig und komisch
ist, halt eine Gratwanderung wie im wirklichen Leben."
Erlanger Nachrichten, 24.4.2003
Bei Stefan Kügel taumeln die Nachtgedanken über den Dorffriedhof,
wo der fränkische Dialektretter Helmut Haberkamm seine Lyrik zwischengelagert
hat. Im Solo Die g'schenkte Stund gehen die Uhren anders. Man wirft
Herbstnebelkerzen aufs Unbehagen, klopft aufs Kerbholz. Rustikal-Zombies
mit Totenköpfchen, also "gieriche Fregger" mit "Dregg
am Steggn" bedrängen den Galsterer, den Totengräber, und
fordern Freisprechung vom Diesseits. Haberkamm sortiert im kühnen
Zeitsprung Figuren - vom Hitler-Groupie Gundel bis zum "Haxerdsheiner",
dem Unterleibsgesteuerten (...) - und lässt die Sprache in einem
wunderbaren Starkfränkisch pochen. Kügel gibt den Zimmerschied
des Puppenspiels, einen "daamischen Gribbl" aus dem Volldampfkessel,
singt und spielt mit Schulter, Kopf und Händen. Das Publikum war
hingerissen.
Abendzeitung, 12. 5. 2003
AZ-Stern der Woche
Bis der resignativ-melancholische Schlusssong erklingt, führt Stefan
Kügel in Helmut Haberkamms Nacht-Stück Die g'schenkte Stund
zusammen mit seinen Handpuppen ein fränkisches Dorf-Panoptikum vor
zwischen Tragik und Komik, Gemeinheit und Mutterwitz. (...) Ein sprachlich
furioses Vorspiel schafft eine recht gotische Atmosphäre.
(...) Sprachlich furios gestaltet der Autor diese Exposition. Kein plattes
Mundarttheater à la "Komödienstadel" wird folgen,
signalisieren die Stabreim- und Klanggewitter, die geschmeidigen Spielereien
mit Lauten und Bedeutungen. Eher dadaistisches Lautgedicht als Ludwig
Thoma also, "Gwaaf und Gwerch und Getu" verlangen auch dem Fränkisch
sprechenden Zuschauer einiges ab (...). Erstaunlich, was der Autor aus
seiner Kindheit auf dem Dorfe - Dachsbach bei Uehlfeld war's - hinübergerettet
und poetisch umgeformt hat. (...) Helmut Haberkamm ist ein fränkisches
Sittenbild einer freilich fast schon untergegangenen Welt auf beeindruckendem
sprachlichen Niveau gelungen. Im Heppstädter Theater Kuckucksheim
werden die Geister in den nächsten Monaten regelmäßig
erscheinen, und der Galsterer wird, uns zum Troste, singen: "Ja ja,
die Doodn, die hamms schee / die braung kann Mercedes und kann BMW / kann
Mozart und kann Monet!"
Fränkischer Tag, 13.5.2003
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