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Der Kaschberlesmoo
Dieser Mann hat fertig. Eben noch hat sich der Puppenspieler, wie in all
den Jahren zuvor, als Erfüllungsgehilfe einer handfesten Gaudi-Produktion
betätigt, werkelte fleißig an der Befriedigung des breiten
Publikumsgeschmacks. Doch mitten im köstlichsten Dialekt-Dialog renitenter
Handpuppen, die sich - erhellend satirisch - beim Erlebnis-Shoppen um
den letzten Sonderangebots-Koffer streiten, schmeißt der "Kaschberlesmoo"
alles hin. Deprimiert ob der Zeitgeist-Zustände, ob der Verfasstheit
seines Publikums, ob seines eigenen Lebens, beginnt er zu verzweifeln.
Was sich nach einem brachialen Runterzieher im Puppen-Genre anhört,
ist in Wirklichkeit die nachdenklich stimmende, melancholische, leise
poetische Solo-Vorstellung eines charismatischen Puppenspielers (Wolfgang
Tietz), der im neuesten Stück des Spardorfer Mundart-Autors Helmut
Haberkamm die Finger auf allzu bekannte Wunden legt und trotzdem den Spagat
schafft zu einer sehr persönlichen Lebensbilanz.
Ein Leben aus dem Koffer: Auf der Bühne der kleinen Erlanger Garagen-Bühne
- der "Kaschberlesmoo" ist eine Koproduktion des Theaters Regenbogen
mit dem Theater Erlangen - sind die Überbleibsel einer langen Gastspiel-Vita
zu sehen. Koffer eben, aus denen sich immer wieder Puppenfiguren herausschälen,
die ihren ganzen Einfluss geltend machen, um dem "Kaschberlesmoo"
gut zuzureden und ihn zum Weitermachen zu animieren.
Puppen als Stoff gewordene Visualisierungen der inneren Künstler-Stimmen:
Die Dialoge zwischen Tietz und seinen Figuren, wie die libidinöse
Maruschka, der unternehmungslustige Kalle oder der höchst aufgeweckte
"Kaschber", offenbaren schlaglichtartig Fetzen aus der Vergangenheit
der Puppenspieler-Existenz, und die war nicht immer rosig. Ein Menschenleben
wird sichtbar gemacht mit der Hilfe und dem Einsatz von Puppen, ihren
Stimmen, Akzenten, Gesten und Bewegungen - im wahrsten Sinne des Wortes
"handgemachte" Kunst. Michael Blumenthals Regie lässt Wolfgang
Tietz viel Raum zur Entfaltung seines Könnens, und Helmut Haberkamm
steuert mit seinen präzise und denkbar lakonisch-klaren Dialekt-Dialogen
zur Erdung des Stoffes bei. Zivilisationskritik im "Kaschberles"-Theater
- wirklich kein Kinderstück!
Spirituell schließt sich der Kreis - mittels Vergangenheitsbewältigung
und deutschem Text zu "House of the rising sun"-Gitarrenklängen.
Eine gebrochene Künstler-Persönlichkeit kam zum Ende. Heftigster
Beifall!
Nürnberger Nachrichten, 3. November 2008
Es ist keine drei Jahre her, da war bei den Bluestagen in Roth Eric Burdon
zu erleben: mit "House of the Rising Sun", der oft gecoverten,
aber selten in dieser unverschämten Direktheit und Intensität
erreichten Version der alten Ballade. Dass der legendäre Hit auch
auf fränkisch mitreißen und inklusive eines furiosen Flamenco-Gesangs
unter die Haut gehen kann, ist mir eine neue und kostbare Erfahrung.
Zwar hat das Stück "Der Kaschberlesmoo", dessen Uraufführung
am Freitag in der Garage des Theaters Erlangen aus gutem Grund ausgiebig
gefeiert wurde, nur zum Teil Musiknummern zu bieten. Aber schon die sind
eine Wucht und beispielhaft für einen wunderbaren Abend mit Kleinkunst,
die ganz groß ist.
Der Erfolg hat drei Väter: den Autor Helmut Haberkamm, den einfühlsamen
und einfallsreichen Regisseur Michael Blumenthal und vor allem Wolfgang
Tietz (vom Theater Regenbogen in Gräfenberg), der weit mehr ist und
kann, als es die Bezeichnung Puppenspieler ausdrückt. Es ist bestimmt
kein Zufall, dass er sogar äußerlich an Karl Valentin erinnert,
denn wie dieser erreicht Tietz etwas ganz Schwieriges: zugleich himmelschreiend
komisch und von einer zu Tode betrübten Tiefe zu sein.
Was natürlich mit dem Stück zu tun hat. Die fränkische
Tragikomödie, die der Autor diesem Sprech- und Mundart-Artisten auf
den Leib geschrieben hat, bietet beides: Wort- und Situationswitz sowie
jenen Tiefgang, der bei einem Puppenspieler in der Sinnkrise stärker
sein dürfte als bei einem arbeitslos gewordenen Broker. Der Lebenskünstler
jedenfalls fühlt sich wie "a Karpfn in am Vogelhaisla".
Es fängt an mit dem Frankenlied, das einem gleich ganz und gar unsäglich
vorkommt, weil Wolfgang Tietz in der durch rote Socken ironisierten Tracht
mit einer aufgepappten Fröhlichkeit in den Saal zieht, als ob man
mitten im Musikantenstadel säße. Schon die erste Szene im Supermarkt
macht deutlich, dass den Menschen nicht nur die inneren Werte verloren
gegangen sind. Auch die Sprache ist auf den Hund gekommen. Oder ist der
"Happy Family Travel Case" im "Designer Lifestyle Outfit"
für seine 20 Euro etwa kein "subber Shopping-Schnäbbla",
bei dem man einfach zuschloong muss? Ganz zu schweigen von den Delikatessen
aus der Feinschmeckerabteilung. Mehr darf nicht verraten werden. Nur soviel:
Es sind durchaus auch die Puppen, die ihren Kaschberlesmoo entweder retten
oder ihm an den Kragen wollen.
Und immer, wenn des Kaschbers Rundumschlag gegen unsere schöne neue
Konsum-, Rausch- und Wachstumswahnwelt, gegen die Verflachung und Verrohung
ins Moralinsaure abzurutschen droht, gibt es im Text, in der Inszenierung
bzw. in der Interpretation eine Volte, die sich gewaschen hat.
Wolfgang Tietz wechselt die Sprechweisen wie auf Knopfdruck. Und er knipst
in seinem Gesicht, in der Körperhaltung unterschiedlichste Stimmungen
an, als wäre er selbst eine Puppe, die beliebig verformbar ist. Umgekehrt
schafft er das kleine Wunder, dass seine vielen Mini- und Maxi-Puppen
quicklebendig wirken. Einfach großartig!
Fränkischer Tag (Bamberg), 4. November 2008
Der Einmarsch des Spaßmachers zur Franken-Fanfare könnte noch
direkt zum Veitshöchheimer Modell-Fasching führen, und auch
der Zweikampf um "Schnäbbla" im Erlebnismarkt, wo eine
"alte Dolln" das Sonderangebot wegschnappt, passt noch gut ins
Profil. Aber dann wird es ungemütlich beim "Kaschberlesmoo"
von Helmut Haberkamm. Er kann die eigenen "Spässle" nicht
mehr ertragen, ruft pathetisch "Ich mooch nimmer" und geht zum
(selbstverständlich inkonsequent durchgeführten) Kalauer-Warnstreik
über. Bei der Uraufführung des melankomischen Stückes in
der Erlanger Theater-Garage versuchte Altmeister Wolfgang Tietz eine Quadratur
des Kreisverkehrs von Tragik und Komödie. Das kann nur bedingt gelingen
- imponiert aber mächtig.
Autor Haberkamm, der vor seinen eher locker angelegten Comedy-Schnittmustern
für Kügel/Wittkopp einst schon den Schwadronier-Partituren für
Hausmeister Schellhammer den Beigeschmack von Unbehagen mischte, ist jetzt
ganz bei sich. Er füttert den solistischen Puppenspieler vom Theater
Regenbogen, der gerne in Richtung Entertainment ausbricht, mit dem eigenen,
knusprig panierten Kulturpessimismus. Beim Rundblick auf die Welt, in
der neben den technischen Geräten auch sonst "alles immer flacher
wird", führt das zum Lamento über die Wirkungslosigkeit
des Gutgemeinten und zum flackernden Zorn gegen den Zeitgeist. SMS wird
in einer der Schimpfkanonaden zur Abkürzung für "Schick
mir Scheiß". Zumindest die Dimension der Verachtung verweist
auf Thomas Bernhard.
Einfach Schluss mit lustig, das geht freilich nicht bei einem Theatermacher,
der seine ganze Vergangenheit in Koffern zwischengelagert und somit zu
unkontrollierter Strahlkraft geradezu aufgefordert hat. Die großen
Einzelgänger seines Puppen-Ensembles wehren sich, indem sie an der
Hand des Chefs aufblühen, gegen den Entschluss von oben.
Haberkamm hat viel (etwas zu viel) Text geschrieben, um das alte Lied
vom traurigen Clown wie neu singen zu lassen. Da müssen sich der
Akteur und sein inzwischen ins große Klassiker- und Opern-Format
gewechselter Regisseur Michael Blumenthal (seit dem "Puppenspieler
von Lodz" vor Jahrzehnten so was wie ein imaginäres Traumpaar
der versonnenen Kleinkunst) energisch Schneisen schlagen, ehe die Poesie
des Spiels mit der Attacke des Worts konkurrieren kann. Das gelingt, wenn
der verzweifelnde "Moo" Zeitungsausschnitte als Belege seiner
aufklärungsfreudigen Reality-Absichten auf die Bühne kippt oder
die bis an die Decke gestapelten Archiv-Koffer wie eine Illusion in sich
zusammenstürzen. Und es ist weniger überzeugend, sobald es darum
geht, von den vielen Talenten des Wolfgang Tietz möglichst jedes
vorzuführen. Also singt er ausgiebig den Blues, wenn es eigentlich
nur darum geht, dass er ihn hat.
Etwas leichter wird diese "fränkische Tragikomödie"
mit den Lachfalten, die bei der bejubelten Premiere noch etwas an der
eigenen Absicht zur Bedeutsamkeit würgte, sicher werden - und die
Poesie als Mischform aus Blei- und Schwimmweste vielleicht dann doch.
Dann kann Haberkamms Ritt auf dem Regenbogen vom allzu fest gemauerten
Boden der Tatsachen abheben.
Abendzeitung (Nürnberg), 3. November 2008
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