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Der Frankenhasser
Kennst du das Land, wo das Lila brüllt?
Zwei Häslein, ein Fuchs, zwei Rehlein, zwei riesige Fliegenpilze
und eine Wildsau mit Frischlingen: Stephan F. Rinkes Bühnenbild ist
eine wahre Augenweide. Zumindest für Liebhaber der galoppierenden
Scheußlichkeit. Auch die übrige Ausstattung in den Nürnberger
Kammerspielen trieft vor Kitsch - eine blitzblanke, voll abwaschbare Schrebergarten-Idylle
mit grünen Hügeln und weißblauem Himmel im Hintergrund.
Und dann die Kostüme! Zum Beispiel das lila Kleid der Bürgermeisterin:
schreiende Farben? Nein, das Lila brüllt.
In dieser Karikatur des wohlaufgeräumten, geschmackvoll dekorierten
Landlebens bricht nun ein fränkisches Drama los - natürlich
durch Eingriff der Bayern. Die wollen dem Heimatdichter Manfred Eisenkolb
in München den großen Bayerischen Staatspreis verleihen. Das
ganze Eisenkolb-Haus, das halbe Dorf gerät in Aufruhr.
Stammen die Gedichte überhaupt von ihm? Wir sehen den Amateurpoeten
nächtens an der uralten Schreibmaschine, wie er vergeblich versucht,
sich einen Reim auf Land und Leute zu machen. Nun stört ihn auch
noch sein spät heimkommender Sohn, der nichtsnutzige Amateurmusiker.
Gleich gibt es Streit, zwei Generationen prallen aufeinander.
Am nächsten Tag setzen sich die Zwistigkeiten fort. Auch mit seiner
Frau Lilofee liegt der Sauertopf im Dauerclinch. Als Hausherr hat er ohnehin
schon abgedankt, seit sein Zimmereibetrieb pleite ging. Aus dem Meister
wurde ein meistens mürrischer älterer Handwerker, den das moderne
Leben wie eine Handvoll Hobelspäne in den Abfall befördert hat.
Michael Nowack spielt diese Rolle mit großer Ernsthaftigkeit, als
tragische Figur, wortgewandt nur in den Beschimpfungen seiner raffgierigen
Nachbarn, der verkommenen Jugend oder der verlogenen Politiker. Selbst
seinen eigenen Volksstamm hasst er: Die Franken seien doch nur "Flüchtlingskinder
und Mischlinge" - mit ihren "Preßsackköpf" und
"Freibiergsichtern".
Natürlich sorgen solche Tiraden für große Heiterkeit
im Publikum. Die originellen Verunglimpfungen, die der Autor Helmut Haberkamm
dem Mittelfrankenvolk vom Maul abgeschaut oder selbst erfunden hat, setzten
sichere Lacher. Aber der Dialekt-Schriftsteller aus dem Aischgrund wollte
nicht nur die Komödie, den Schwank bedienen, sondern auch die sozialen,
wirtschaftlichen und ethischen Verwerfungen des fränkischen Landlebens
deutlich machen.
So wird in Haberkamms "Frankenhasser" die Heimat-Idylle schnell
als Schein entlarvt. Die alten Strukturen sind zerbrochen, das neue Dach
des Gemeindehauses zimmert nicht der örtliche Betrieb, sondern der
Billigst-Bieter aus dem Osten. Die Bürgermeisterin des Marktfleckens,
herrlich geschäftig und vital gespielt von Petra Auerochs, ist vor
allem Gewerbegebiets-geil. Die Schlechtigkeit der Welt infiziert sogar
die Geistlichkeit: Der Dorfpfarrer (Carlos Gundermann) hat als Seelsorger
resigniert; wenn er noch an etwas glaubt, dann daran, dass er bei Lilofee
landen kann.
Antje Cornelissen spielt die verblühte Hausfrau mit enormer Eindringlichkeit
und Hingabe, formt ihre Rolle fast zu einem differenzierten Charakter
aus. Philipp Weigand als ihr Sohn verstärkt den guten Eindruck, den
er in der vergangenen Spielzeit beim Jugendclub des Staatstheaters in
der BlueBox machte.
Durch das rundum überzeugende Ensemble und dank Alexander Schillings
handwerklich tadelloser und stilistisch fein akzentuierender Regie wurde
die Uraufführung von Haberkamms solide gebautem Stück ein achtbarer,
vom Premierenpublikum gefeierter Erfolg. "Der Frankenhasser"
beweist, dass Mundarttheater auch jenseits der Niederungen von Komödienstadl
auf der einen und provinziellem Schwank auf der anderen Seite seinen seriösen
Platz hat - sogar am Staatsschauspiel, das damit sein Angebot geschickt
verbreitert. Nach 30 Jahren "Schweig Bub!" kommt ein "Frankenhasser"
als Ergänzung nicht ungelegen.
Hans-Peter Klatt, Nürnberger Zeitung, 16. Oktober 2006
Ein fränkischer Misanthrop aus dem Geiste Molières
Die Uraufführung "Der Frankenhasser" von Helmut Haberkamm
wird an den Nürnberger Kammerspielen stürmisch gefeiert
Ist der Franke als solcher im ungeliebten Bayern an sich schon ein Unikum,
so wird er völlig zur Lachnummer, wenn er den Mund aufmacht und im
breitmäuligen Idiom seiner Heimat über Gott und die Welt, die
Bayern und die Preußen, freilich auch über seine Nachbarn herzieht.
Ein Grantler und "Sotterer", der sich über "die Anderen"
das Maul zerreißt, aber nichts auf sich und Franken kommen lässt.
Nur so ist der Titel des jüngsten Stücks des fränkischen
Mundartautors Helmut Haberkamm zu verstehen: "Der Frankenhasser"
ist ein Misanthrop aus dem Geiste Molières, der allem Fremden -
Franken ausgenommen - feind ist. Jetzt brachte das Staatstheater Nürnberg
diese Auftragsarbeit an den aus dem fränkischen Aischgrund stammenden,
heute in Erlangen lebenden Autor als stürmisch gefeierte Uraufführung
in den Kammerspielen in der Regie von Alexander Schilling heraus.
Die Kitsch-Kulisse (Stephan F. Rinke) mit friedlich grasendem Bambi-Rehlein
und wühlender Wildsau suggeriert dem Zuschauer, dass die Franken
dort hausen, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Dort lebt der Zimmermann
Manfred Eisenkolb, der neben dem Holz auch die fränkische Mundart
bearbeitet und aus dem Holz eines "Troubadours der Franken"
geschnitzt ist, ein "Rilke der fränkischen Seele". Für
seinen Gedichtband mit fränkischen Lyrismen wird ihm der Bayerische
Staatspreis verliehen, zu dessen Überreichung durch den bayerischen
Ministerpräsidenten er in die Residenz nach München fahren soll.
Eine Paraderolle für den aus Würzburg stammenden, astrein fränkisch
sprechenden Schauspieler Michael Nowack, der seinen "Frankenhasser"
nicht ins Klischee abrutschen lässt, sondern Wortwitz und Hintersinn
der Sottisen und Sentenzen des fränkischen Menschenfeinds ausspielt.
Vor Ehefrau Liselotte (Antje Cornelissen), dem Sohn Matthias (Philipp
Weigand), der Bürgermeisterin (Petra Auerochs) und dem Dorfpfarrer
(Carlos Gundermann) spielt er die Ehrung mit dem Staatspreis herunter,
will in seiner als Pamphlet angelegten Dankesrede der Münchner "Broseggo-Bagaasch",
dem "Grawaddn-Gesoggs" und "Häbbchen- und Schnäbbchen-Gschwartl"
einmal so richtig die Leviten aus der Sicht der zwangsvereinnahmten Franken
lesen; was ihm freilich die Ehefrau, die Bürgermeisterin und der
Pfarrer, auf das Wohl der Familie und des Dorfes bedacht, ausreden wollen.
Doch kommt es ganz anders - und zurück aus München kommt ein
zahnloser Heimatdichter, der sich vom Schulterschlag des Ministerpräsidenten
geehrt fühlt. Und sich obendrein der Entdeckung seiner Ehefrau konfrontiert
sieht, dass seine ganze Heimatdichtung nicht von ihm, sondern von einem
vor den Nazis 1938 ins Ausland geflüchteten "alten Juden"
stammt, der in der Fremde heimwehselig seiner verlorenen Heimat in fränkischen
Liedchen, Aphorismen und Gedichten gedachte, die er dem Freund in Franken
in Briefen mitteilte.
Mit dieser überraschenden Pointe bringt Haberkamm auch das "braune
Franken" ins Spiel, das "Franken mit Hautgout" mit seinem
"Dürer-Hauptquartier" Nürnberg, in dem der Franken-Führer
Julius Streicher mit seinem antisemitischen Hetzblatt "Der Stürmer"
die Judenvernichtung publizistisch vorbereitete. Und wenn dann noch die
alte Synagoge im Dorf in einen Supermarkt umgewandelt werden soll, was
der Sohn Matthias mit seiner Band "Dixi und die Tempelherren"
verhindern kann, ist die Ehre Frankens wieder hergestellt.
Helmut Haberkamms und seines "Frankenhassers" Hass-Tiraden schlagen
in ein "Lob auf Franken", wie es unnachahmlich zu Adenauers
Zeiten der aus Coburg stammende Bundesjustizminister Thomas Dehler sang,
um und bringen das Happy-End: Matthias und seine Band vertonen die "gefälschten"
Dialekt-Gedichte des Frankenhassers - und machen sich mit den gesungenen
und auf CD gebrannten Frankonismen einen Namen!
F. J. Bröder
Fränkischer Tag, 16.10.2006
(Nachgedruckt im Donaukurier, 19.10.2006)
Das Volksstück im fränkischen Dialekt versucht an Fitzgerald
Kusz´ "Schweig Bub" anzuknüpfen - just in diesem
Jahr, in dem der Klassiker des Mundartdramas sein 30-Jähriges in
Nürnberg feiert. Dieser Versuch allerdings gelingt nicht ganz: Zwar
liefert Haberkamm, der sich in Franken mit der Musikkomödie "Ka
Weiber- ka Gschrei" einen Namen gemacht hat, ein Stück weit
über Komödienstadl- Niveau. Trotzdem hätte Regisseur Alexander
Schilling den merkwürdig zwischen Lustspiel, Sozialdrama und Satireprogramm
changierenden Text dringend eindampfen müssen - zweienhalb Stunden
inmitten fränkischer Wildsauen und Fliegenpilze sind eindeutig zu
viel.
Der Grundgedanke des "Frankenhasser" allerdings dürfte
an den Privattheatern Nordbayerns noch aufhorchen lassen: Es geht um einen
vermeintlichen Heimatdichter, der für seine tiefsinnigen Verse mit
dem bayrischen Staatspreis ausgezeichnet werden soll. Bei dieser Gelegenheit
will der Mann der sich als Freischärler Frankens in Pose schmeißt,
der Münchner " Broseggo - Bagaasch" und dem ganzen "Häbbchen-
Gschwartel" ordentlich die Leviten lesen. Daraus wird dann nichts.
Dafür sind aus dem Mund des "Rilkes der fränkischen Seele"
einige zeitlos schöne Sätze über die Franken und deren
Fasching zu hören - über Provinzprominenz und ranzige Viagrawitze.
Süddeutsche Zeitung, 17.10.2006
Hochdruckreiniger der Heimat
Auch dieser selbsternannte "Hochdruckreiniger von der schönen
Heimat", der nichts gegen eine Flutung Bayerns zwischen Garmisch
und Gredinger Berg hätte, entpuppt sich letztendlich als Windbeutel,
der sich beim erneuten Sprung ins fränkische Volkstheater lediglich
a weng die Gelenke und Gedanken verstaucht. "Der Frankenhasser",
Zimmermeister und Poet dazu, ist ein Frankenwafer.
Der Schauspieler Michael Nowack, zuletzt als mundartiger "Alleinunterhalter"
im Einsatz, wird von Auftragswerker Helmut Haberkamm in den Nürnberger
Kammerspielen mit reichlich Munition versorgt. Haberkamm, der Jäger
des verlorenen Dialektschatzes, hat da größere Beute gemacht
als der Dramatiker Haberkamm. Aber, stellt die praktisch orientierte Poeten-Gattin
auf der Bühne mitten in die heitere Premierenstimmung hinein ganz
richtig fest: "Hauptsach', es is' fränkisch!"
So giftig, wie die schreiende Farbidylle des Bühnenbildes es auf
den ersten Blick behauptet, will die Tonlage dieser ausfransenden Tragikomödie
denn doch nicht sein. Dort, wo sich zwischen weiß-blauem Firmament
und Volldünger-Rasen Fliegenpilz und Hase jodelarchitektonisch Gute
Nacht sagen, bewegt sich Zimmermeister Manfred Eisenkolb auf einer Drehbühne
mit engem Radius. Das Leben des "Heimatdichters" (immerhin nennt
er seine Frau "Sägspän-Schneggerle") stagniert, sein
Betrieb ist pleite, die Familie Fassade (der Sohn, voller Poesie-Gene,
nennt es "leere Pralinenschachtel") und die eigene Dichtung
entspricht auch nicht der Wahrheit. Da ist der Drehwurm drin.
Der verschwindet auch nicht, als der Ministerpräsident dem Freizeit-Lyriker
unverhofft einen Staatspreis anheften will und der Geehrte wüst mit
verbaler Vergeltung an den "weiß-blauen Raubrittern" droht.
Und bei Unterdrückung der lokalen Rufschädigung mit Ehrenbürgerschaft
samt "Straßennamen und Ehrengrab" rechnen darf.
Regisseur Alexander Schilling lässt geduldig alle Nebenschauplätze
zu, die Konsum-Schelte und Synagogen-Besetzung, Sohn-Konflikt (Philipp
Weigand als Entdeckung) und Pfarrer-Affäre (Carlos Gundermann zwischen
Karikatur und Moralapostelei), Dorf-Klüngelei (Petra Auerochs als
präsente Bürgermeister-Drohne) und Ehe-Leier (Antje Cornelissen
als routinierte
Pragmatikerin) so bieten.
Michael Nowacks "Frankenhasser" funkelt da zu wenig dazwischen.
Erst gegen Ende, wenn der kleinmütige Preisträger gesteht, dass
"Die Trümpf' in mein' Ärmel" eine freundliche Übernahme
sind, und der Sohn mit dieser "hammerharten Lyrik" Pop-Karriere
macht, befreit sich das Stück dynamisch von seinen poetischen Pointen.
Das Ensemble sang dazu: "Wir dönner, was mer könner."
Andreas Radlmaier, Abendzeitung Nürnberg, 16. Oktober 2006
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