Aus der Laudatio zum Kulturförderpreis der Stadt Erlangen 1996

Beim Stichwort Aischgrund dachte man bis vor einiger Zeit eher an Karpfen (blau oder gebacken) als an Lyrik (Mundart oder Hochsprache). Auf der literarischen Landkarte war die breite Talsenke zwischen dem Großraum Nürnberg und dem Steigerwald lange ein weißer Fleck. Doch dann tauchte ziemlich überraschend Helmut Haberkamm wie ein Hecht im Karpfenteich der fränkischen Dialektdichtung auf und behauptete forsch: Frankn lichd nedd am Meer. (...)
Der junge Schriftsteller, 1961 als Bauernsohn in Dachsbach geboren, liebt Franken, die "alde Schachdl", und leidet zugleich daran. Für falsche Romantik oder Nostalgie ist in seinen Texten kein Platz. Für ihn ist der heimatliche Aischgrund ein Sprungbrett zur Welt, ein Mikrokosmos voller Wunder, aber auch voller Wunden. (...)
Haberkamm ist also nicht auf der Suche nach der guten, alten Zeit. Virtuos deckt er die Brüche und Widersprüche in der nur scheinbar heilen Dorf-Welt zwischen Kuhstall und Computer auf. Aber zumindest auf dem Papier lebt die bedrohte bäuerliche Welt des Aischgrunds und der nuancenreiche, handfeste Dialekt weiter. Die Heimat trägt bei Haberkamm einen Trauerrand: Nicht nur wegen des unvermeidlichen Strukturwandels und der damit verbundenen Änderungen, sondern auch wegen der lange verdrängten Vergangenheit. (...)
Mittlerweile hat Haberkamm seinen literarischen Aktionsradius stark erweitert und gilt längst als Hoffnungsträger der neuen Mundartdichtung, die inzwischen auch schon in die Jahre gekommen ist. Nach der Aufbruchstimmung und den großen Erfolgen in den siebziger Jahren machen sich allenthalben Erschöpfung und Stillstand breit. In dieser Situation kommt einer wie Haberkamm gerade recht. Der hat mit der traditionellen Dialektlyrik nichts am Hut. Seine Vorbilder heißen Bob Dylan, William Carlos Williams, Dylan Thomas, Thomas S. Eliot und E. E. Cummings. (...)
Helmut Haberkamm ist, und das unterscheidet ihn von vielen Vertretern der modernen Dialektliteratur, kein Witzbold, der auf schnelle Lacher schielt. Sein Humor ist hintergründig und verzweifelt, sein Umgang mit der Sprache ernsthaft und genau. In seinen langen Prosa-Gedichten und Monologen geht es um die braune Vergangenheit ebenso wie um die schwarze Zukunft, hinter dem Horizont lauern Katastrophen und das "Nullachdfuchzer-Leem" endet häufig in einer Sackgasse. Die Welt ist ein Dorf - im Aischgrund.

Steffen Radlmaier, Nürnberger Nachrichten

 
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